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Versicherungsrecht: Abweichungen vom Antrag im Versicherungsschein – Urteil des BGH vom 22.06.2016 – IV ZR 431/14

Neues zum Thema Versicherungsrecht: Der BGH hat in einer für das Versicherungsrecht wichtigen Entscheidung verkündet, dass bei einer Abweichung des Versicherungsscheins vom zugrunde liegenden Antrag zugunsten des Versicherungsnehmers der Versicherungsvertrag auch ohne die Voraussetzungen des § 5 Abs.2 VVG mit dem Inhalt des Versicherungsscheins zustande kommt, sollte der Versicherungsnehmer nicht binnen eines Monats widersprechen. Hierin bestätigt der BGH seine Rechtsprechung zum § 5 VVG, so wie sie bereits vor der VVG-Reform galt und signalisiert eine deutliche Absage an die vor allem im Schrifttum zur Auslegung des § 5 VVG geführte Diskussion.

Die Klägerin hatte im zu entscheidenden Fall 2009 eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung während ihrer Ausbildung bei der Beklagten abgeschlossen. Im Versicherungsantrag  vom 05.08.2009 war unter Verweis auf die Versicherungsbedingungen ein Passus enthalten, der es dem Versicherer ermöglichte eine abstrakte Verweisung in den ersten beiden Ausbildungsjahren auszusprechen.

In dem am 14.08.2009 ausgestellten Versicherungsschein ist die Klausel zu den Ausbildungsverhältnissen dagegen nicht wiederholt. Es wird auf die Versicherungsbedingungen verwiesen und zu den Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung heißt es, der Versicherungsnehmer hätte diese bereits mit der Antragsdurchschrift erhalten.

In diesen Bedingungen lautet § 1 Abs.1:

„….Eine Verweisung auf eine andere Tätigkeit kommt nur dann in Betracht, wenn diese im Sinne von Abs. 4a) konkret ausgeübt wird (Verzicht auf abstrakte Verweisung).“

Die Klägerin begann bei der Beklagten eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau im August 2010 und erlitt Ende Januar 2011 einen Bandscheibenvorfall. Sie arbeitete hiernach nicht mehr in ihrem Ausbildungsberuf. Seit dem 1. September 2013 hat sie eine neue Ausbildung zur Fachangestellten für Arbeitsmarktdienstleistungen begonnen. Die Klägerin behauptete eine Berufsunfähigkeit für den genannten Zeitraum und erklärte den Verweis ihres Arbeitgebers auf die ausgeübte Tätigkeit als Fachangestellte für Arbeitsmarktdienstleistungen für unzulässig, da die im Antrag enthaltene Zusatzklausel zur Berufsunfähigkeit bei Auszubildenden nicht Vertragsinhalt geworden sei und die neue Ausbildung nicht mit derjenigen einer Einzelhandelskauffrau vergleichbar sei.

Nachdem die Klägerin in den Vorinstanzen mit ihrer Deckungsklage gescheitert war, hob der BGH die Entscheidung der Vorinstanzen auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück.

Die Richter stellten ausdrücklich klar, dass trotz einer weit verbreiteten Literaturmeinung der § 5 Abs. 1 VVG auch bei einer Konstellation Anwendung findet, in der der Versicherungsschein zugunsten des Versicherungsnehmers von dem Antrag abweicht. Dies gebiete der Wortlaut und auch der Sinn und Zweck der Norm. Auch in diesem Fall gilt die Abweichung als genehmigt, wenn nicht innerhalb einer Monatsfrist der Versicherungsnehmer in Textform widerspricht.

Bei einer Abweichung zugunsten des Versicherungsnehmers bedürfe es auch keiner dem § 5 Abs.2 VVG entsprechenden Belehrung durch den Versicherer, damit die Abweichung zum Vertragsinhalt werde, da diese Regelung lediglich dem Schutz des Versicherungsnehmers diene. Eine Ausnahme sieht der BGH lediglich dann, wenn der Versicherer eine andere Erklärung abgeben wollte und der Versicherungsnehmer dies erkannt hat. Nur in diesem Fall  ist der „wahre Wille“ entscheidend. Die Anforderungen des BGH an den Nachweis eines übereinstimmenden Parteiwillens bei Falschbezeichnungen sind jedoch zu beachten.

Zusammenfassend bedeutet das im Versicherungsrecht: Der Versicherer ist in seinem eigenen Interesse mehr den ja gehalten die vollständige und korrekte Dokumentation des Antragsinhalts im auf den Antrag folgenden Versicherungsschein sicherzustellen, da sonst gehäuft Versicherungsverträge mit einem Inhalt zustande kommen, der so vom Versicherer nicht gewollt war und in denen möglicherweise der Umfang der ursprünglich beabsichtigten Deckung überschritten ist.