Vertragsrecht
Der Text des Vertrages spielt in der Tat keine Rolle, solange alles gut geht. In solchen Fällen hätte man auch ohne Vertrag auskommen können. In einer Win-Win-Situation finden die Vertragspartner immer eine pragmatische Lösung, mit der beide Seitenleben können. Aber spätestens wenn sich der mit dem Vertragsschluss erstrebte wirtschaftliche Erfolg nicht einstellt, oder wenn der Vertragspartner Leistungsdefizite zeigt, mit denen man nicht gerechnet hatte, kann das Klima frostig werden.
Das bedeutet: Verträge müssen immer unter dem – wenn auch zunächst fiktiven – Szenario eines worst case verhandelt und formuliert werden! Nur für solche Fälle kommt es auf den Vertrag überhaupt an. Für den Richter ist der Text des Vertrages der einzige Fixpunkt, an dem er seine Entscheidung orientieren kann. Umso wichtiger ist das, was unterschrieben wird!
Gerade weil es beim Vertragstext oft fundamentale Fehler und Versäumnisse gibt, ungeregelte Sachverhalte, unklare oder gar mehrdeutige Formulierungen oder Ähnliches, hat die Rechtsprechung ein breites Spektrum von Auslegungsregeln entwickelt. Im Gesetz steht nur, dass es nicht auf den buchstäblichen Sinn einer Regelung ankommt, sondern auf den „ wirklichen Willen“ der Parteien. Aber wie ermittelt man diesen wirklichen Willen, wenn der Vertrag eine Lücke aufweist? Der Richter kann versuchen, von sich aus dem Vertrag zu ergänzen und die bestehende Lücke zu schließen, indem er sich die Frage stellt, wie die Parteien entschieden hätten, wenn sie an den Problemfall gedacht hätten (ergänzende Vertragsauslegung). Aber dazu braucht er Anhaltspunkte im Vertrag selbst. Auf das, was der Richter für richtig hält, kommt es nicht an.
Bei unklaren Formulierungen kann der Richter zu einem sinnvollen Ergebnis kommen, wenn er von mehreren Auslegungsmöglichkeiten derjenigen den Vorzug gibt, die den Interessen der Vertragsparteien eher entsprechen (interessengerechte Auslegung). Diese Auslegungsgrundsätze funktionieren aber durchaus nicht immer und schon gar nicht, wenn es um die Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen geht. Denn dort gibt es zwar den „wirklichen Willen“ des auf seinen Vorteil bedachten Verwenders. Der andere Teil hatte insoweit bei Vertragsschluss keinen eigenen Willen. Er hatte das akzeptiert, was ihm vorgelegt worden war, und was er bestenfalls überflogen hatte.
Unsere Aufgabe ist es in solchen Fällen, dem Richter zu den Begleitumständen und Motiven des Vertragsschlusses diejenigen Anhaltspunkte zu liefern, mit denen er den Vertrag zu Ihren Gunsten ausgelegt werden kann. Aber noch besser ist es natürlich, solche Konflikte von vornherein zu vermeiden! Bei einer klaren Regelung im Vertrag kommt es gar nicht erst zum Prozess, schon weil der nicht mehr kooperative Vertragspartner keinen Sinn in einem Prozess sieht, den er ohnehin nicht gewinnen kann.
Wir haben Mandanten, bei denen alle Abteilungen angewiesen sind, dem Geschäftsführer oder dem Vorstand einen Vertrag erst dann zur Unterschrift vorzulegen, wenn der Text über unseren Schreibtisch gelaufen und von uns juristisch auf Fallstricke überprüft worden ist. Das ist deutlich weniger zeitaufwändig und wesentlich preisgünstiger als ein Rechtsstreit, der sich über mehrere Instanzen hinziehen kann, und der gerade wegen der Defizite im Vertrag oft in einem sehr mageren Vergleich und hohen Kosten endet.